Bosnien-Herzegowina

Bosnien-Herzegowina

Fast 30 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton bleibt Bosnien-Herzegowina (BiH) von ethnischer Spaltung geprägt, die sich 2024 weiter verschärft hat. Politische Eliten schüren gezielt interethnische Spannungen, um von Korruptionsskandalen und der Ineffizienz des öffentlichen Sektors abzulenken. Die Kriminalisierung von Verleumdung in der Republika Srpska stellt einen Angriff auf die Pressefreiheit dar und entfremdet das Land weiter von den Werten der Europäischen Union. Internationale Beobachter kritisieren diese Entwicklungen scharf und warnen vor einer weiteren Erosion des Demokratisierungsprozesses.

 

Enttäuschte Hoffnungen
Die Regierungskoalition, die nach den Wahlen hohe Erwartungen weckte, konnte auch 2024 keine greifbaren Ergebnisse liefern. Der EU-Beitrittskandidatenstatus, der 2022 verliehen wurde, bleibt bislang Symbolpolitik. Fortschritte in Richtung Integration sind kaum sichtbar, und die Frustration über das dysfunktionale politische System wächst. Hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven treiben weiterhin viele junge Menschen zur Auswanderung.

Ein Weckruf: Geschlechtsspezifische Gewalt im Fokus
Der Femizid von Gradacac im August 2023, bei dem eine Frau vor laufender Kamera brutal ermordet wurde, war ein Schockmoment für das Land. Die Tat löste landesweite Proteste aus und brachte das Thema geschlechtsspezifische Gewalt ins Zentrum der politischen Debatte. Dennoch bleibt die Umsetzung der Istanbul-Konvention auch 2024 unzureichend: Der Zugang zu kostenlosem Rechtsbeistand, effizienter Strafverfolgung und angemessenem Schutz für Überlebende ist weiterhin mangelhaft.

Die Finanzierung von Frauenhäusern bleibt prekär; ein weiteres musste Anfang 2024 schliessen. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern dringend:

  • Bildungsprogramme, um patriarchale Normen zu durchbrechen
  • bessere Unterstützungssysteme für Betroffene
  • schnellere und effektivere Gerichtsverfahren, um Täter zur Verantwortung zu ziehen.

Politische Entscheidungsträger stehen unter wachsendem Druck, umfassende Strategien zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt umzusetzen und diese Verbrechen präventiv zu verhindern.

Bosnien-Herzegowina als Transitland für Migrant*innen
Bosnien-Herzegowina bleibt als letztes Nicht-EU-Land auf der Balkanroute ein wichtiges Transitland für Tausende von Menschen, die in die Europäische Union flüchten. Die humanitäre Lage bleibt angespannt: Die Reaktion der Regierung auf die anhaltende Migration ist unzureichend, während Hilfsorganisationen versuchen, die Lücken zu füllen. Viele Migrant*innen leben unter prekären Bedingungen und sind häufig Repressionen ausgesetzt.

Frauen und Zivilgesellschaft als treibende Kraft für Frieden
Trotz der politischen Stagnation und ethnischen Fragmentierung bleibt die Solidarität in den Nachkriegsgemeinschaften spürbar. Frauenorganisationen spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie führen Basisinitiativen, fördern den interethnischen Dialog und setzen sich für Frieden und Versöhnung ein.

Die unermüdliche Arbeit dieser Organisationen zeigt, dass der gemeinsame Wunsch nach einer besseren Zukunft stärker sein kann als ethnische Grenzen. Sie halten die Gesellschaft trotz der politischen Zerrissenheit zusammen und geben Hoffnung auf nachhaltigen sozialen Wandel.

Ausblick 2024: Stillstand oder Reformdruck?
Bosnien-Herzegowina steht 2024 an einem Scheideweg: Die anhaltende politische Stagnation, die unzureichende Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und die sozialen Herausforderungen prägen das Land. Gleichzeitig zeigt die Zivilgesellschaft – besonders Frauenorganisationen – bemerkenswerte Widerstandskraft und Engagement für positive Veränderung.

Die Zukunft des Landes hängt davon ab, ob politische Akteure den Reformdruck ernst nehmen, die Vertrauenskrise überwinden und dringend notwendige soziale und politische Reformen umsetzen. Ein inklusiver Dialog, der Schutz benachteiligter Gruppen und die Bekämpfung struktureller Gewalt sind entscheidend, um die Grundlagen für eine gerechtere und stabilere Gesellschaft zu schaffen.

Eckdaten
Fläche: 51.197 km2
Hauptstadt: Sarajevo / 346.000 Einwohner*innen
Bevölkerung: 3,8 Mio.
Bevölkerungswachstum: –0,25% pro Jahr
Städtische Bevölkerung: 50,3%
Säuglingssterblichkeit: 5,1 pro 1000 Lebendgeburten
Müttersterblichkeit: 6 pro 100‘000 Geburten
Geburten pro Frau: 1,37
Verhütungsrate: 45,8%
Lebenserwartung: 78  Jahre
Ärztinnen: 2,16 auf 1000 Einwohner
Spitalbetten: 3,5 auf 1000 Einwohner

Quelle: CIA World Fact Book (2025)

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