Der Bosnienkrieg endete 1995 mit dem international vermittelten Friedensabkommen von Dayton. Bosnien und Herzegowina (BiH) wurde damit als ein Staat gegründet, der aus zwei weitgehend autonomen und ethnisch homogenen Entitäten besteht: der Föderation Bosnien und Herzegowina (überwiegend Bosniak*innen und Kroat*innen) und der Republika Srpska (überwiegend Serb*innen). Die zentralen Institutionen von Bosnien und Herzegowina sind schwach, und der Grossteil der Regierungskompetenzen liegt jeweils in den beiden Entitäten.
Das Scheitern, verfassungsrechtliche Fortschritte zu erzielen, hat die ethnische Spaltung zementiert und vertieft und dazu beigetragen, dass die ethnischen Minderheiten nicht sichtbar sind und nicht gleichberechtigt behandelt werden. Davon betroffen sind insbesondere die Romni, die zahlreichste, am stärksten benachteiligte und am meisten gefährdete Minderheit in Bosnien und Herzegowina.
Die Eliten des Landes schüren die interethnischen Spannungen, um die Aufmerksamkeit der Menschen von den Korruptionsskandalen und der allgemeinen Inkompetenz im öffentlichen Sektor abzulenken. Die neue Regierungskoalition in Bosnien und Herzegowina hat hohe Erwartungen geweckt und starke internationale Unterstützung erhalten, aber noch keine greifbaren Ergebnisse vorzuweisen. Im Dezember 2022 verlieh die Europäische Union BiH den Status eines Beitrittskandidaten. Dies wurde in BiH wenig als Anerkennung der erzielten Fortschritte angesehen, sondern eher als Ermutigung, so weiterzufahren wie bisher.“
Das Engagement aus der Zivilgesellschaft wird durch den Staat stark eingeschränkt. Die Kriminalisierung von Verleumdungen in der Republika Srpska entfremdet BiH noch weiter von den Werten der EU. Diese Entwicklungen werden von der internationalen Gemeinschaft im Land beobachtet. Sie ist sich den potentiell verheerenden Auswirkungen dieser regressiven Bewegungen auf den weiteren Demokratisierungsprozess bewusstViele junge Menschen wandern wegen eines dysfunktionalen politischen Systems, schlechter wirtschaftlicher Aussichten und hoher Arbeitslosigkeit aus.
Auf politischer Ebene wird geschlechtsspezifische Gewalt nicht ausreichend angegangen. Im Bereich der sozialen Entwicklung und des sozialen Schutzes gibt es immer noch erhebliche politische Defizite: Wie in der Schweiz wird auch in Bosnien und Herzegowina die Istanbul-Konvention (2011 vom Europarat verabschiedet) nur unzureichend umgesetzt. Es mangelt unter anderem an der Umsetzung des Opferschutzes und der Strafverfolgung. Für Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt (GBV) beispielsweise ist die staatliche Unterstützung für kostenlosen Rechtsbeistand und Vertretung vor Gericht begrenzt und schwer zu erhalten. In der Praxis füllen nur Organisationen der Zivilgesellschaft diese Lücke. Frauenhäuser stehen weiterhin vor Finanzierungsproblemen. Ausserdem kommt der Staat seinen Verpflichtungen in diesem Bereich nicht nach. Aufgrund mangelnder Finanzierung musste eines von neun Frauenhäusern im Jahr 2023 geschlossen werden.
Der Femizid in Gradacac im August 2023, bei dem die Quälerei, die Schläge und die brutale Ermordung einer Frau in Form einer Hinrichtung live in den sozialen Netzwerken übertragen wurden, hat Bosnien und Herzegowina zutiefst erschüttert. Weite Kreise waren schockiert, und die Tat löste nicht nur öffentliche Empörung aus, sondern war auch der Auslöser für eine Reihe von Unruhen und Protesten im ganzen Land. Dieser Mord hat deutlich gemacht, wie gefährdet Frauen nach wie vor sind und dass ein solider rechtlicher und sozialer Rahmen erforderlich ist, der solche Verbrechen nicht nur ahndet, sondern auch proaktiv verhindert.
Dazu gehören Bildungsprogramme zur Veränderung der gesellschaftlichen Normen, die geschlechtsspezifische Gewalt begünstigen, verbesserte Unterstützungssysteme für Überlebende und effizientere Gerichtsverfahren zur Aufarbeitung und Verurteilung solcher Gewalt. Darüber hinaus hat die Gräueltat geschlechtsspezifische Gewalt auf allen Regierungsebenen ins politische Rampenlicht gerückt. Sie hat deutlich gemacht, dass die systemischen Probleme, die derartige Gewalttaten ermöglichen, dringend angegangen werden müssen. Politische Entscheidungsträger, Gesetzgeber und Strafverfolgungsbehörden sind nun gezwungen, der Formulierung und Umsetzung umfassender Strategien zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt auf allen Ebenen Priorität einzuräumen.
Darüber hinaus liegt BiH auf der Route der Migranten, die über das Mittelmeer in die Länder der Europäischen Union reisen. Als letztes Nicht-EU-Land ist BiH ein geeignetes Transitland für Tausende von Menschen auf der Flucht. Die humanitäre Reaktion der Regierung in diesem Bereich ist ebenfalls unzureichend.
Trotz der anhaltenden Spannungen zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen haben die gemeinsamen Konflikterfahrungen und der gemeinsame Wunsch, eine bessere Zukunft zu schaffen, die Solidarität in den Nachkriegsgemeinschaften verstärkt. Frauen haben in diesem Prozess eine zentrale Rolle gespielt, indem sie Basisorganisationen leiteten und unermüdlich daran arbeiteten, Frieden und Verständnis zwischen Menschen mit unterschiedlichem religiösen und ethnischen Hintergrund zu fördern. Diese gemeinsamen Bemühungen geben Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Bosnien-Herzegowina.
Fläche: 51.197 km2
Hauptstadt: Sarajevo / 346.000 Einwohner
Bevölkerung: 3,807 Mio.
Bevölkerungswachstum: –0,23% pro Jahr
Städtische Bevölkerung: 50,3%
Säuglingssterblichkeit: 5,1 pro 1000 Lebendgeburten
Müttersterblichkeit: 6 pro 100‘000 Geburten
Geburten pro Frau: 1,37
Verhütungsrate: 45,8%
Lebenserwartung: 78 Jahre
Arztdichte: 2,16 auf 1000 Einwohner
Spitalbetten: 3,5 auf 1000 Einwohner