«Wir müssen die sozialen Medien viel mehr nutzen!»

In Mali arbeiten IAMANEH und die Association des Jeunes pour la Citoyenneté Active et la Démocratie (AJCAD) gemeinsam daran, weibliche Genitalbeschneidung zu beenden. Im Fokus des Projekts steht die Zusammenarbeit mit Jugendlichen, die über soziale Medien und öffentliche Veranstaltungen gegen diese Menschenrechtsverletzung mobilisieren.

Adam Dicko, die Gründerin von AJCAD, und der Genderexperte Daouda Ballo setzen digitale Kommunikation gezielt ein, um über sexuelle und reproduktive Gesundheit aufzuklären. In einem Gespräch mit IAMANEH Schweiz beleuchten sie sowohl die Chancen als auch die Risiken, die mit dieser Form der Wissensvermittlung verbunden sind.

IAMANEH: Die Bedeutung digitaler Medien für die Verbreitung von Informationen zur sexuellen Gesundheit hat stark zugenommen. Sowohl national als auch international zeigt sich, dass Jugendliche und Erwachsene bei Fragen zu Sexualität bevorzugt auf digitale Medien zurückgreifen. Gilt dies auch für Mali?

Adam Dicko: Tatsächlich beobachten wir einen ähnlichen Trend, besonders bei Jugendlichen. Das Internet ist für Jugendliche eine der wichtigsten Informationsquellen über Verhütungsmethoden. Das Netz und soziale Medien bieten jederzeit schnell und diskret Sachinformationen und fungieren quasi als Aufklärungsmedium: Die Jugendlichen erfahren keine Stigmatisierung, müssen sich für ihre Neugierde nicht rechtfertigen, finden dafür aber Erfahrungsberichte zu allen erdenklichen sexuellen Themen. Deshalb finden wir es wichtig, Aktivist*innen im Bereich der offenen Jugendarbeit auch in ihrer Medienkompetenz zu fördern.

Ihr arbeitet auch gezielt mit Blogger*innen und Influencer*innen zusammen, die schon über beachtliche Medienkompetenz verfügen. Nach welchen Kriterien sucht ihr sie aus?

Daouda Ballo: Genau, einerseits arbeiten wir mit einflussreichen Blogger*innen und Medienaktivist*innen zusammen und andererseits bieten wir den Mitarbeiter*innen von AJCAD regelmässige Trainings zur verstärkten Nutzung der sozialen Medien in ihrer Sensibilisierungsarbeit. Bei der Auswahl der Blogger*innen und Influencer*innen achten wir zum einen auf ihre grosse Reichweite und zum anderen darauf, dass sie unsere Themen bereits in ihren Beiträgen behandeln. Auch die Radiosender und Journalist*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, thematisieren bereits Gender, weibliche Genitalbeschneidung (FGC) und Geschlechtergerechtigkeit in ihrer Medienarbeit.

In der Schweiz erleben Aktivist*innen, die sich öffentlich zu feministischen oder frauenrechtlichen Themen äussern, nicht selten mediale Attacken. Erleben eure Medien-Aktivist*innen auch Formen von Cybermobbing (digitale Gewalt)?

Daouda Ballo: Themen wie weibliche Genitalbeschneidung und sexuelle Selbstbestimmung sind anfällig für Falschinformationen, denn sie sind bei Jugendlichen hochaktuell und bei religiösen Führungspersonen umstritten. Sie sind zudem emotional aufgeladen und in den Medien stark präsent, oft in negativer Weise. Leider nutzen Desinformationskampagnen diese negativen Emotionen, wodurch Menschen, die sich zu diesen Themen äussern, direkt ins Visier heftiger Kritik und sogar Drohungen geraten.

Wie gehen sie mit diesen Drohungen um? Oder wie schützen sie sich davor?

Adam Dicko: In den meisten Fällen sind Selbstzensur und Schweigen die Antwort auf Angriffe oder Diffamierung in den sozialen Medien. Deshalb müssen wir unsere Aktivist*innen in Medienkompetenz schulen und durch die Zusammenarbeit mit etablierten Blogger*innen nicht nur über FGC aufklären, sondern ihnen auch konkrete Strategien zum Schutz vor solchen Angriffen an die Hand geben.

Könnt Ihr ein paar konkrete Strategien nennen?

Adam Dicko: Wir ermutigen sie, Anfeindungen und Diffamierungen nicht unkommentiert zu lassen, sondern ihnen mit empathischer Aufklärung zu begegnen. Einige Blogger*innen berichteten, dass sich Nutzer*innen, die sie anfangs angegriffen hatten, später entschuldigten, nachdem sie durch den intensiven Austausch mehr Verständnis entwickelt hatten.

Daouda Ballo: Ausserdem haben wir ein «Peer-Review-Verfahren» eingeführt. Bevor Blogger*innen Beiträge posten, teilen sie diese in einer WhatsApp-Gruppe zur Überprüfung und Feedback. Das gemeinsame Erarbeiten der Inhalte fördert den Austausch mit anderen und bietet Rückhalt, falls es zu Angriffen kommt.

Habt ihr bei den Versuchen, gegen Fehlinformationen über FGC vorzugehen, bereits eine Wirkung festgestellt?

Adam Dicko: Wie erwähnt berichteten Blogger*innen, dass sich Personen für Anfeindungen entschuldigten, nachdem ihnen die Folgen der weiblichen Genitalbeschneidung erklärt wurden und sie erkannten, dass das Brechen dieser Tradition nichts mit einer Abkehr von der Religion zu tun hat. Manche interessieren sich dann weiter für das Thema und werden selbst zu Aktivist*innen gegen FGC. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass in Mali nur etwa 36% der Bevölkerung Zugang zum Internet haben. Daher sind direkte Aktionen in der Gemeinschaft oft weitaus effektiver als digitale Medien. Wir arbeiten vorwiegend auf Gemeinde-Ebene und versuchen traditionelle Führungs- und andere Autoritätspersonen in unsere Aktionen einzubinden - das zeigt die grösste Wirkung.

Was würdet ihr euch in Bezug auf eure Arbeit in den sozialen Medien wünschen?

Adam Dicko: Soziale Medien ermöglichen es, mit ihrer Reichweite ein breites Publikum, insbesondere junge Menschen ausserhalb traditioneller Bildungseinrichtungen, zu erreichen. Sie vereinfachen die schnelle und effektive Verbreitung von Informationen und nutzen visuelle Inhalte, um Bewusstsein zu schaffen und emotionale Reaktionen zu fördern. In Mali ist jedoch der Internetzugang oft eingeschränkt, und unqualifizierte Informationsweitergabe kann leicht zu Missverständnissen führen. Ausserdem erschwert der teils sehr polarisierte Diskurs in den sozialen Medien konstruktive Gespräche. Trotzdem ist es wichtig, dass Fachleute und Organisationen, die sich mit polarisierenden Themen befassen, aktiv in sozialen Medien präsent sind und mit Influencer*innen und Community-Leadern zusammenarbeiten, um ihre Botschaft zu verbreiten und das Vertrauen der Nutzer*innen zu gewinnen. Zudem sollten wir die Nutzer*innen dazu ermutigen, kritisch mit Informationen umzugehen und Quellen immer zu überprüfen.

Dies ist ein Interview aus unserer INFO-Brüschüre 2024.


Adam Dicko ist Sozialunternehmerin und Geschäftsführerin der Association des Jeunes pour la Citoyenneté Active et la Démocratie (AJCAD), wo sie sich auf zivilgesellschaftliches Engagement und Menschenrechte konzentriert. AJCAD hat über 20'000 Mitglieder, 57 Mitarbeiter*innen und über ein Dutzend Projekte. Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Freiwilligenarbeit und sieben Jahren Berufserfahrung in nachhaltiger Entwicklung und sozialem Engagement unterstützt Adam Dicko Gemeinschaften bei der Entwicklung von Konzepten und Kompetenzen zur partizipativen Demokratisierung und der Korruptionsbekämpfung.

Daouda Ballo ist Beauftragter für Gender und soziale Inklusion bei AJCAD. Er setzt sich leidenschaftlich für die Grundrechte ein. Bei AJCAD ist Daouda Ballo für Vielfalt, Chancengleichheit und respektvollen Umgang verantwortlich. Er setzt Inklusionsprojekte um, koordiniert verschiedene Aktionen und Veranstaltungen und berät Mitarbeiter*innen und Freiwillige in ihrer Arbeit zur Aufklärung über sexuelle Rechte und Gesundheit.

 


Info zum Projekt Gemeinsam stark: Junge Menschen nutzen soziale Medien gegen Genitalbeschneidung.

Unsere Partnerorganisation AJCAD, die Association des Jeunes pour la Citoyenneté Active et la Démocratie, engagiert sich intensiv für die Förderung von Jugendlichen in Bereichen wie sexuelle Gesundheit und Rechte sowie für die partizipative Demokratisierung des Landes. IAMANEH und AJCAD arbeiten gemeinsam daran, weibliche Genitalbeschneidung (FGC) zu beenden. Wesentlich ist dabei die Zusammenarbeit mit Jugendlichen, die über soziale Medien und öffentliche Veranstaltungen gegen diese Menschenrechtsverletzung mobilisieren. In den Regionen Malis, wo fast 89% der Frauen und Mädchen beschnitten sind, werden junge Menschen geschult, um über die Risiken und Probleme von FGC aufzuklären und Raum für Veränderung zu schaffen. Zudem umfasst das Projekt die Beratung von Betroffenen sowie die Nutzung der Online-Plattform «ClickInfoAdo», die Schüler*innen auf spielerische und kreative Weise Themen der reproduktiven Gesundheit näherbringt.

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