«Kein Tag war gleich wie der andere»

Co-Geschäftsleiterin Manuela Di Marco blickt im Interview anlässlich ihrer Pensionierung zurück auf 22 Jahre IAMANEH Schweiz.

Manuela Di Marco war 22 Jahre lang bei IAMANEH Schweiz im Fundraising tätig. Seit 2020 bildet sie gemeinsam mit Alexandra Nicola die Co-Geschäftsleitung. Nun wird Manuela Di Marco pensioniert. 

Miriam Glass übernimmt ab August ihre Position in der Co-Geschäftsführung von IAMANEH Schweiz.

Im Interview blickt Manuela Di Marco zurück und erinnert sich an besondere Begegnungen, Herausforderungen und Erfolge. 

IAMANEH: Manuela, was hat Dich 22 Jahre lang bei IAMANEH Schweiz gehalten?

Manuela Di Marco: Am Anfang dachte ich ehrlich gesagt, ich würde nach spätestens zwei Jahren wieder gehen. Alles war ganz anders als in der Privatwirtschaft, wo ich vorher tätig war. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich bei IAMANEH vieles bewegen kann. Meine Arbeit hatte eine Wirkung. Ich war nicht die Mitarbeiterin Nummer 725, sondern eine von wenigen. Es kam auf mich an. Das hat mich motiviert und deshalb bin ich geblieben.

Manuela Di Marco mit Fatou Diatta an der Vernissage der Ausstellung "Ganz Frau" zum 45-Jahr-Jubiläum von IAMANEH Schweiz in Basel.

Nun gehst Du in Pension – wie geht es Dir im Hinblick auf Deinen Abschied?

Je näher er rückt, desto schwieriger wird es. Gestern habe ich einem Dienstleister von uns die Hand gegeben und mir wurde klar, dass ich ihn vermutlich zum letzten Mal sehe. Das ist schon speziell. Ein neuer Lebensabschnitt liegt wie ein weisses Blatt vor mir, das verunsichert mich, aber hat auch eine schöne Seite.

Welche Begegnungen haben Dich besonders geprägt?

Ich habe in den vergangenen Wochen viele Abschiedsmails geschrieben. Dabei wurde mir klar, wie viel mir die Begegnungen mit den Menschen aus unseren Partnerorganisationen in Westafrika und auf dem Balkan bedeuten. Sie haben mein Leben bereichert. Insgesamt haben mich die Beziehungen in meinem Arbeitsleben geprägt, auch hier in der Schweiz. Manche haben sich zu Freundschaften entwickelt.

Welche Ereignisse waren in Deiner Laufbahn wichtig?

Eines der tollsten Ereignisse war das 30-Jahr-Jubiläum von IAMANEH Schweiz. Es war das erste Mal, dass wir einen grossen Anlass planten, mit einem Musiker aus Mali. Wir nahmen uns vor, einen grossen Saal zu füllen. «Vergiss es, das klappt nicht», sagten viele zu mir. Aber der Saal war voll, wir mussten sogar Leute abweisen. Die Stimmung war grossartig. Gäste tanzten auf der Bühne und Unterstützerinnen schmissen gemeinsam die Bar. Es war gross, aber familiär. Das bleibt als besonderer Abend in Erinnerung.

Was waren die grössten Herausforderungen?

Entlassungen, auch wenn sie selten waren, haben mich sehr herausgefordert. Auch die Ausstellung zum 45-Jahr-Jubiläum im vergangenen Jahr war eine grosse Herausforderung – mit positivem Ergebnis.

Was siehst Du als wichtige Erfolge?

Ich bin stolz auf die Resultate im Fundraising. Im ersten Jahr sprachen wir von zehntausend Franken, im vergangenen Jahr war es rund eine Million von Stiftungen, Kantonen und Gemeinden. Das Finanzvolumen zu halten ist heute allerdings eine der grössten Schwierigkeiten.

Warum?

Die Konkurrenz ist viel grösser als früher. Vor 22 Jahren machte noch fast niemand professionelles Fundraising im institutionellen Bereich. Ich wusste kaum, was darunter zu verstehen war. Ich fing einfach an. Das war einerseits schwierig, weil es keine vorgefertigten Abläufe gab. Aber es war auch einfacher als jetzt. Heute gibt es hunderte von NGOs, die an dieselben Töpfe wollen.

Welche Erfolge gab es auf Projektebene? Was bringt unsere Arbeit?

Ein Projekt, das mich persönlich beeindruckt und überzeugt, ist das Projekt für respektvolle Geburtshilfe in Togo. Darüber hinaus denke ich, dass wir gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen dort am meisten erreichen, wo wir langfristig arbeiten. Zum Beispiel mit der sogenannten «gendertransformativen Arbeit».

Was verstehst Du darunter?

Dabei geht es darum, nicht ausschliesslich kurzfristige Verbesserungen herbeizuführen, sondern eine Veränderung im gesellschaftlichen Machtgefüge zu erreichen, Normen im Bezug auf Geschlechterrollen zu verändern und Stereotype zu entkräften. Also zum Beispiel ein Bewusstsein dafür zu wecken, wie gleichberechtigte Beziehungen gestaltet werden können und was der Gewinn ist, für Einzelne und für die Gesellschaft. 

Das ist ein grosses Ziel.

Ja, es braucht Zeit. Und was die Entwicklungszusammenarbeit angeht, bin ich manchmal im Zwiespalt. Angesichts der Schwierigkeiten, mit denen die Menschen zum Beispiel in Westafrika konfrontiert sind, sind manche Projekte ein Tropfen auf den heissen Stein. Ich finde es nicht immer einfach, damit umzugehen.

Wie hat sich die Organisation verändert?

IAMANEH Schweiz hat sich frappant verändert. Am Anfang ging es ausschliesslich um Mutter-Kind-Gesundheit. Heute sind Frauenrechte stärker im Vordergrund. Früher war der Vorstand sehr männerdominiert. Heute bilden Frauen im Vorstand und die Geschäftsleitung. Und heute sind wir viel stärker als früher damit beschäftigt, unsere Rolle zu hinterfragen, eine möglichst gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen zu entwickeln und Abhängigkeiten zu verringern.

Wie hast Du selbst Dich verändert?

Als Fundraiserin musste ich Zurückhaltung ablegen, wenn es darum ging, nach Geld zu fragen. Und ich habe viel gelernt über andere Kulturen. Mir ist klar geworden, wie tief rassistische Denkmuster verankert sind, auch bei mir selbst, und dass es ein ständiger Prozess ist, sie zu erkennen und auch zu verändern.

Vor welchen Herausforderungen steht IAMANEH Schweiz heute?

Die Mittelbeschaffung ist eine schwierige Aufgabe, die komplexer geworden ist. Zudem müssen wir «emerging topics» im Auge behalten. Etwa den Klimawandel oder «economic empowerment», das ist wirtschaftliche Stärkung, insbesondere von Frauen aus einkommensschwachen Verhältnissen.

Wie hast Du es geschafft, über so viele Jahre motiviert und engagiert zu bleiben?

Ich weiss es auch nicht (lacht). Ein bisschen ist IAMANEH mein «Bébé». Und kein Tag war gleich wie der andere. Es gab keinen Grund, anderswo nach Neuem zu suchen.

 


Das neue Leitungsteam

Alexandra Nicola, seit 2020 Co-Geschäftsleiterin und Bereichsleiterin Programme bei IAMANEH Schweiz.

Miriam Glass, seit 2023 Verantwortliche für Public Fundraising bei IAMANEH Schweiz, übernimmt ab August 2024 die Co-Geschäftsleitung mit Alexandra Nicola.