Ein Lagebericht aus Mali im Januar 2021
In Mali überlagern sich derzeit die Krisen – Langjährige mit Neueren, Politische mit Sozioökonomischen, obendrauf kommt noch COVID-19. Wie gehen IAMANEH's lokale Partnerorganisationen vor, um die in Mali äusserst riskante zivilgesellschaftliche Arbeit zu sexueller Gesundheit, Selbstbestimmung und Geschlechtergerechtigkeit weiterführen zu können?
Kadiatou Keïta arbeitet als Länderkoordinatorin Mali bei IAMANEH. Wohnhaft in der Hauptstadt Bamako stellt sie den Knotenpunkt zwischen lokalen Partnerorganisationen und dem IAMANEH-Büro in Basel dar. Sie berichtet uns von den zunehmend erdrückenden Umständen, mit denen die malische Bevölkerung und unsere zivilgesellschaftlichen Partner konfrontiert sind. Die in Folge des 2020-Putsches (siehe Box) geformte Übergansregierung ringt neben der COVID-Krise und schwachem öffentlichen Rückhalt mit einer nochmals verschärften Sicherheitskrise: Im zuvor relativ stabilen Südosten kommt es seit dem Putsch zu Plünderungen und sogar Schiessereien am helllichten Tag. Im besetzten Nordosten und der kriegszerrütteten Landesmitte profitieren separatistische und islamistische Gruppierungen vom Machtvakuum. Gesundheitsdienste und Hygieneinfrastrukturen können aufgrund der sicherheitspolitischen Krise nicht regulär arbeiten, was sich drastisch auf die COVID-Lage auswirkt. Nach einem steilen Infektionsanstieg im Dezember wurden der Ausnahmezustand und Ausgangssperren verhängt, und während ein nennenswerter Bevölkerungsanteil die Existenz von Corona anzweifelt, liegt der Zugang zu Impfdosen für Mali in unerreichbar scheinender Ferne. Sinnbildlich für die verschachtelte Krise steht Soumaïla Cissé: Der erst kürzlich aus dschihadistischer Geiselnahme befreite Oppositionspolitiker und Anwärter auf das Präsidialamt verstarb im Dezember an einer COVID-19-Infektion.
Für die malische Bevölkerung ist der kombinierte Druck aus politischer, Sicherheits- und Gesundheitskrise enorm, nicht zuletzt durch gesteigerte finanzielle Not. Viele haben ihr Einnahmequelle verloren, von welcher oft zehn oder mehr Personen abhängig sind. Gemäss Keïta gibt es kaum noch Familien, welche dreimal täglich zu einer Mahlzeit kommen, die Zahl der Bettelnden hat sich vervielfacht. Zwischen islamistischen Milizen, Plünderungen und Raubüberfällen getrauen sich gerade junge Frauen kaum mehr auf die Strassen, sie und Ihre Angehörigen leben in ständiger Angst. Organisationen wie IAMANEH, welche sich für Frauen- und Mädchenrechte und sexuelle Gesundheit einsetzen, riskieren Angriffe durch islamistische Gruppierungen. Zu ihrem Schutz bewegen sich die Mitarbeiter*innen unserer lokalen Partnerorganisation möglichst unauffällig mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder einfachen Karren fort, um keine Raubüberfälle oder sonstige Gewalt auf sich zu ziehen. Reisepläne werden äusserst kurzfristig beschlossen und streng vertraulich behandelt. Da in der zunehmenden Not und gesellschaftlichen Anspannung Frauen und Mädchen noch einmal stärker von Gewalt, Zwangsheirat, Genitalverstümmelungen und Rechtsentzug bedroht sind, zeigen sich unsere lokalen Partner aber auch umso entschlossener, ihre Arbeit trotz der widrigen Bedingungen konsequent weiterzuführen. Wir sind bewegt vom Mut und der Kraft unserer malischen Kolleg*innen, und unterstützen sie in ihrer unermesslich wertvollen Arbeit mit allen Mitteln.
Soziopolitische Situation in Mali
Die bereits äusserst konfliktreiche Situation in der westafrikanischen Republik Mali hat sich 2020 noch einmal komplex verschlimmert. Das Land am Niger unterteilt sich in den wasserreichen Südwesten, welcher 90% der malischen Bevölkerung sowie die Regierungsstadt Bamako beherbergt, und in den weitläufigen Nordosten. Der weit in die Sahara reichende Nordosten ist Schauplatz des Nordmalikrieges: Seit 2012 wird er teils von separatistischen Tuareg, teils von islamistischen Gruppierungen kontrolliert, während u. A. die USA, Frankreich und die UNO auf Seiten der malischen Regierung Truppen stellen. Im Sommer 2020 kam es zu folgenschweren öffentlichen Protesten gegen die Korruption der malischen Regierung sowie ausbleibende Erfolge im Nordmalikonflikt: Am 18. August wurde die Regierung durch das eigene Militär geputscht. Während ein grosser Teil der Bevölkerung den Putsch begrüsste, verurteilten ihn die internationale Gemeinschaft (inkl. Schweiz) und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO. Mittels politischen Druckes und wirtschaftlicher Sanktionen erwirkten sie im Oktober die Bildung einer Übergangsregierung.