Elsa M'bena Ba ist eine der renommiertesten Feministinnen Togos. Sie hat Bewegungen wie Girls Motion oder les négresses féministes gegründet und berät unsere Partnerorganisationen AFAD und Men Engage Togo. Im Interview mit Serena Dankwa, ehemalige Verantwortliche für den Bereich Gender, Equity and Transformation bei IAMANEH Schweiz, gibt Elsa Einblick in ihre Arbeit und spricht über Afrofeminismus, Menstruationstabus und internationale Zusammenarbeit.
Mitarbeit bei der Gestaltung des Interviews: Julie Bernet
Die Projekte von IAMANEH im Bereich Menstruation:
- Burkina Faso: Vorurteile Menstruation - offen und ohne Scham darüber sprechen.
Mehr Informationen.
- Togo: Menstruation - in der Regel (k)ein Tabu. Mehr Informationen.
Elsa M'bena Ba (links) und Serena Dankwa.
Serena Dankwa: Elsa, wie bist du zu der geworden, die du heute bist? Feministin?
Elsa M'bena Ba: Ich wusste erst, dass ich Feministin bin, als die Leute anfingen, mich so zu behandeln. Ich hatte schon immer feministische Ideen und Sichtweisen, aber ich hatte nicht immer den Mut, die Dinge anzusprechen. Doch irgendwann begann ich, es laut auszusprechen und mich dazu zu bekennen. Und ich sagte mir, wenn das, was ich zur Sprache bringe, als feministisch gilt, dann bin ich Feministin.
Und wie gelang es Dir, Deine Stimme hörbar zu machen?
Die sozialen Netzwerke waren anfangs mein Sprachrohr. Ich begann, meine Meinung zu äussern, indem ich in meinem Blog über Ungerechtigkeiten schrieb. Daraufhin begannen einige junge Frauen, mir zu schreiben und sich selbst zu erkennen zu geben. Also schrieb ich weiter über Themen wie Sexualität, sexualisierte Gewalt, sexuelle Zustimmung, etc. Ich wollte eine Bewegung kreieren, die etwas ins Rollen bringt, eine Bewegung, die uns erbeben lässt. Meiner Meinung nach sollten wir nicht warten, bis das Gesetz etwas legalisiert, bevor wir dafür kämpfen. Wir müssen damit anfangen. Nur so wird das Gesetz folgen.
Wie hast du das Feuer gefunden, dich zu engagieren und dich für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen?
Ich begann mit einer Kampagne für Opfer von sexualisierter Gewalt. Die Leute wissen, dass ich mich für die Sache der Frauen einsetze und dafür empfänglich bin. Die Menschen, die eine Vergewaltigung erleiden mussten, kamen über Freundinnen zu mir, die nicht wussten, wie sie helfen sollten. Also habe ich damit begonnen, die Betroffenen ins Krankenhaus, zum Gericht und zur Polizeiwache zu begleiten. Und je mehr Personen ich begleitete, desto mehr kamen zu mir. Wir machen Gesprächsgruppen mit Psycholog*innen und Spezialist*innen für genderbasierte Gewalt (GBV), um zu diskutieren, um die Überlebenden zu einer ganzheitlichen Heilung zu führen. Dann begann ich Texte darüber zu schreiben. Aber jedes Mal, wenn ich einen Text veröffentlichte, beschuldigten mich die Leute der Lüge und dass es GBV nicht mehr gebe. Also habe ich mir gesagt, dass es wahrscheinlich daran liegt, dass die Leute sich nicht bewusst sind, dass so etwas existiert. Und das war der Auslöser für mein Engagement. Da habe ich mir gesagt, dass ich wirklich über alles, was ich weiss und was ich denke, sprechen muss, damit die Leute wissen, dass es nicht nur in unseren Köpfen existiert. Je mehr du darüber sprichst, desto mehr Leute stossen dazu, um ihre eigenen Erfahrungen zu teilen.
Du hast ein Unternehmen gegründet, das wiederverwendbare Hygienebinden unter dem Markennamen Yannis-Lotiyé herstellt. Wie hast du mit diesem Projekt begonnen?
Die Idee war nicht in erster Linie, ein Unternehmen zu gründen. Die Idee war, Lösungen zu finden für Probleme, denen sich Frauen stellen müssen. Ich habe gesehen, wie sehr Mädchen unter ihrer Menstruation leiden, und ich habe verstanden, dass die Wegwerfbinden, für diejenigen, die sie sich leisten können, nicht einmal aus gutem Material hergestellt werden, sondern aus Materialien die weder unserem Körper noch der Umwelt gut tun. Da habe ich mir gesagt, dass wir Binden brauchen, die viel ökologischer sind und zugleich den Menschen respektieren. Ich wollte selbst welche kaufen und musste feststellen, dass es in Togo keine gibt. Ich fand welche übers Internet in Europa, doch sie waren sehr teuer. Mir wurde klar: nicht nur für meinen eigenen Zyklus würde das niemals ausreichen; für die Mehrheit der togoischen Frauen sind diese Produkte unerschwinglich. Ich wollte es mehr Menschen zugänglich machen. So recherchierte ich, nahm an Schulungen teil, brachte mir das Nähen bei. Ich begann meine eigenen Binden zu nähen. Und ich begann online darüber zu kommunizieren. So ist daraus ein Unternehmen entstanden. Abgesehen von der Herstellung und dem Verkauf der Binden fliessen die Gewinne des Unternehmens direkt in die Unterstützung der Überlebenden von geschlechtsspezifischer Gewalt. Zudem stellen wir die vulnerabelsten Frauen ein, diejenigen, die zum Beispiel gelernte Schneiderinnen sind, sich aber mit ihren Kindern keine eigene Werkstatt leisten können. Wir haben dafür gesorgt, dass ihre Kinder während der Arbeit vor Ort betreut werden können. Und wir haben Partnerschaften mit Nähwerkstätten in Lomé, bei denen wir Stoffreste bester Qualität sammeln, aus denen zwar keine Kleidung mehr hergestellt werden kann, aber durch das Recyceln Hygienebinden entstehen können.
Du hast unter anderem AFAD Togo beraten, eine Partnerorganisation von IAMANEH Schweiz. (Mehr zu den Projekten zu respektvoller Geburtshilfe und Menstruationshygiene) Worin bestand Deine Arbeit mit AFAD (Alliance Fraternelle Aide pour le Développement) ?
Es ging um eine Weiterbildung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, mit einem Schwerpunkt auf Menstruation. Dazu gehörte, dass ich in den Dörfern Wissen zur Herstellung wiederverwendbarere Binden vermittelte habe.
Mit einer zweiten Partnerorganisation von IAMANEH Schweiz hast Du im Bereich Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet. Worum ging es bei Men Engage Togo?
Dort war ich als Beraterin zuständig für die Kampagne «Suis-je un homme?» (Bin ich ein Mann?»). Es ging darum, positive Bilder von Männlichkeit zu vermitteln und herkömmliche Rollenmuster zu hinterfragen. Wir haben das mit Fotos von Männern gemacht, die Tätigkeiten ausführten, die eher Frauen zugeschrieben wurden. (Einen Einblick in die dazugehörige Medienkampagne «Masculinité Positive» gibt es zum Beispiel hier. Auch bei der nachfolgenden Kampagne «femininité transformative» war ich als Beraterin involviert.
Kommen wir nochmal zurück zum Thema Menstruation: Tabus dazu gibt es überall auf der Welt, auch in Togo. Was hat es auf sich mit den Menstruationstabus? Woher kommen sie?
Ja, es gibt sehr viele Tabus rund um die Menstruation und diese Tabus haben alle Bedeutungen, die aber nicht unbedingt abwertend für die Frau sein sollten. Wenn man die Frage der Menstruation in der afrikanischen Spiritualität aufgreift, heisst es im Wesentlichen, dass sich die spirituelle Energie einer menstruierenden Frau verzehnfacht und viel stärker wird als die des Mannes. Und so kann sie die Energie des Mannes gar verschlingen. Die Periode der Menstruation gilt als die Zeit des Mysteriums, durch das die Frau Leben hervorbringt. Es ist die Zeit, in der sie einem Gott gleichkommt, weil sie durch diesen Prozess Leben kreieren kann. Und so ist diese Zeit für die Frau extrem kraftvoll und für den Mann entsprechend gefährlich. Früher war die Idee, dass die Männer als Krieger in den Kampf ziehen, auf die Jagd gehen. Sie konnten also nicht riskieren, energetisch schwach zu sein, und so hiess es, es sei besser, zur Zeit der Menstruation beispielsweise keinen Sex zu haben, damit ihre männlichen Energien nicht absinken. In Togo gibt es gleichzeitig Traditionen, in denen die Frau mit ihrem Blut ihre Kinder oder ihren Mann segnet und heilen kann. Wie bei vielen Traditionen wurde auch hier die Weitergabe des Wissens um die positiven Kräfte der Menstruation abgespalten, durch die Kolonialisierung, den Versklavungshandel und so weiter. Heute kennen die Leute die Hintergründe nicht mehr, alles woran man sich erinnert ist, dass man sich einer menstruierenden Frau nicht nähern soll.
Wie sieht deine Vision von Projekten und Programmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit aus?
Es ist wichtig, dass wir nicht noch mehr einzelne Vereine gründen, sondern verbindende Bewegungen schaffen, die die Dinge gemeinsam wirklich auf den Kopf stellen. Denn es ist nicht mehr nur eine Frage der Lancierung eines Projekts, sondern eine Frage des Forcing [Druck machen]. Wir können nicht bloss Zentren errichten, wo Mädchen, die eine Vergewaltigung erleiden mussten, untergebracht werden können, und das war's dann. Nein, wir müssen dieses System durchbrechen, dass Vergewaltigungen in unserer Gesellschaft duldet und das Problem bei der Wurzel packen.
Und wie konkret kann dieses System durch das Vorantreiben von Bewegungen verändert werden?
Heute gibt es Bewegungen wie les négresses féministes, die weder registriert sind, noch die Formalitäten eines Vereins erfüllen. Aber es sind genau solche Gruppierungen, die etwas in Bewegung bringen und Strukturen aufbrechen wollen. Um eine neue Dynamik entwickeln zu können, ist es wichtig, dass Organisationen, nicht so sein müssen, wie die Geldgebenden sie gerne hätten. Zum Beispiel sind wir heute bereit, die Rechte von LGBT+ Personen zu verteidigen. Aber dann heisst es seitens der Geldgebenden: nein, ihr seid nicht registriert oder das entspricht nicht togoischem Recht. Als nicht registrierte Gruppierung ist man bereit, sich togoischem Recht zu widersetzen. Um dem Gesetz entgegentreten zu können, kann man gar nicht registriert sein. Sonst würde ein einziger kleiner Verstoss ausreichen, eine Organisation aufzulösen. Und wir wollen nicht dem togoischen Staat unterworfen oder ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein. Daher müssen internationale Organisationen, wenn sie feministische Aktionen finanzieren, verstehen, dass wir gewisse Formalitäten hinter uns lassen müssen, denn dieser Widerstand ist Teil unseres Kampfes. Konkret heisst das, dass die geldgebenden Organisationen andere Abläufe schaffen müssen. In der internationalen Zusammenarbeit gibt es 100 Jahre alte Vorgehensweisen, an denen nicht gerüttelt wird. Wenn man sieht, was es heute vor Ort zu tun gäbe, dann müssen wir das Vorgehen, unsere Art die Dinge anzugehen überarbeiten, damit sich die Situation weiterentwickeln und verbessern kann. Das sind Anliegen, die uns bei les négresses féministes sehr wichtig sind und die wir angehen. Wir sind kein Verein und werden es auch nie sein. Wir sind keine NGO, das werden wir auch nie sein, aber wir machen Aktionen und bringen Veränderungen in Gang, indem wir uns an die Grenze des Systems begeben.
Girls Motion ist eine Bewegung mit mehr als 600 Mitgliedern. Sie folgt dem Ansatz, dass sie zwar hauptsächlich aus Mädchen besteht, aber offen ist für alle Geschlechter - solange sie von Frauen/Mädchen angeführt wird die ihre Rechte einfordern (gendertransformativer Ansatz).
Négresses féministes ist ein Kollektiv von Menschen, die denselben Status beanspruchen und sich gegenseitig schützen. Es besteht aus ca. 40 Personen, die sich als Feministinnen bezeichnen und sich für feministische Anliegen stark machen.