Gegen Gewalt im digitalen Raum

Im Interview berichtet Ejnxh Pepa aus Albanien, wie unsere Partnerorganisation CLWG gegen Gewalt im digitalen Raum vorgeht.

Gewalt gegen Frauen findet auch im digitalen Raum statt: Inzwischen ist es fast alltäglich, von Frauen und Mädchen zu hören, die online sexuell belästigt oder bedroht wurden, deren Bilder und Videos ungewollt geteilt wurden oder die online Stalking erlebten.

Unsere albanische Partnerorganisation «Counselling Line for Women and Girls» (CLWG) bietet Beratung für Frauen und Mädchen, die Gewalt im digitalen Raum erleben. Ejnxh Pepa koordiniert das Projekt  bei CLWG und stellt die Schnittstelle zu IAMANEH Schweiz sicher. Im Frühjahr 2024 stellte sie die Arbeit der CLWG  an einer Konferenz von Medicus Mundi in der Schweiz vor und gab Auskunft zum Projekt.

Mehr zum Projekt

IAMANEH: Ejnxh Pepa, die CLWG fokussiert neu auf das Thema „Gewalt im digitalen Raum“. Warum?

Ejnxh Pepa: Weil wir seit Jahren sehen, dass es im digitalen Raum zahlreiche Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen gibt und dass die Folgen davon genauso schlimm sein können wie bei Gewalt, die „offline“ ausgeübt wird.

Ist das tatsächlich so? Physische Verletzungen wie Schläge sind online nicht möglich.

Ejnxh Pepa: Gewalt, die im digitalen Raum ausgeübt wird, kann schwerste Folgen haben. In Albanien gab es in den ersten zwei Monaten des Jahres acht Suizide von Frauen, die unter anderem Gewalt erlebt haben, die online und mit Technologie ausgeübt wurde. Aber noch ist die Gesetzgebung nicht so weit, diese Gewalt als Form von häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt anzuerkennen und die Täter entsprechend zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Um was für Formen von Gewalt geht es hier?

Ejnxh Pepa: Oft erweitern oder verstärken sich Gewaltakte online und offline gegenseitig. Ein gewalttätiger Partner kann eine Frau zum Beispiel mittels online-Technologie massiv einschüchtern oder bedrohen, auch wenn die beiden sich an getrennten Orten befinden. Auch intime Bilder zu teilen oder mit deren Veröffentlichung zu drohen ist eine Form von Gewalt. Kameras und GPS-Tracker werden für Stalking eingesetzt, Frauen werden auf Online-Plattformen öffentlich beleidigt oder bedroht, bis hin zu Vergewaltigungs- oder Todesdrohungen. Belästigung und sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet ist nochmal ein Thema für sich. Ausserdem können online viele Formen von Gewalt zusammenkommen, etwa verbale, psychologische und sexuelle Gewalt.

Was kann die CLWG in solchen Fällen tun?

Ejnxh Pepa: Die CLWG bietet seit Jahren Unterstützung für Betroffene von genderbasierter Gewalt. Wir sind in Albanien die nationale Helpline für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen, über eine kostenlose Telefonnummer rund um die Uhr erreichbar. Daher sind wir bereits mit vielen Frauen und Mädchen in Kontakt, die Gewalt erleben. Wir bieten rechtliche, psychologische und soziale Beratung und verweisen an geeignete Institutionen weiter. Frauen und Mädchen, die Gewalt erlebt haben, sind oft schwer traumatisiert und verunsichert, sie tragen gesundheitliche Folgen und brauchen viel Unterstützung. Neu schulen wir Frauen und Mädchen darin, sich vor digital verübter Gewalt zu schützen. Die Risiken lassen sich mit technischem Wissen minimieren. Zum Beispiel haben viele Frauen Tracker in ihren Mobiltelefonen aktiviert, ohne es zu wissen. Neben der Beratung gibt es noch die Ebene der Sensibilisierung und der politischen Arbeit, wo wir ebenfalls sehr aktiv sind.

Wo liegen die Probleme auf politischer Ebene?

Ejnxh Pepa: Digitale Gewalt ist in Albanien noch nicht als Form von Gewalt erkannt und anerkannt. Strafverfolgungsbehörden haben keine Handhabe, um damit umzugehen. Daher arbeiten wir mit Rechts-Expert*innen, aber auch mit IT-Fachleuten und Gleichstellungs-Expert*innen zusammen. Wir haben einen Gesetzesentwurf erstellt, der digitale Gewalt behandelt und eine Rechenschaftspflicht für Täter bringt.

Die CLWG arbeitet mit vielen Institutionen landesweit zusammen, zum Beispiel mit der Polizei. Was ist das Ziel dieser Arbeit?

Ejnxh Pepa: Die Aktivitäten gegen genderbasierte Gewalt müssen koordiniert ablaufen. Aber zu oft arbeiten die verschiedenen Stellen noch nicht gut zusammen. Gerade wenn es um Gewalt im digitalen Raum geht, fehlt das Wissen nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei den Institutionen, die diesen Frauen und Mädchen helfen sollten. Die Polizei beispielweise braucht die richtige Infrastruktur und die Kompetenzen, um auf digitale Gewalt reagieren zu können. Beides fehlt in den allermeisten Fällen noch. Wir organisieren Schulungen für Fachleute und Institutionen aus verschiedenen Bereichen, damit sie sich auf diesem Gebiet weiterentwickeln können.

Die CLWG wird für ihre Dienste als nationale Helpline zu etwa 30% vom albanischen Staat finanziert. Warum braucht es private Unterstützung und die Zusammenarbeit mit Organisationen wie IAMANEH Schweiz?

Ejnxh Pepa: Wir brauchen eine gewisse Unabhängigkeit, um unsere Aufgaben zu erfüllen. Denn wir agieren auch in der Öffentlichkeit, machen auf Missstände im Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt aufmerksam etc. In einem Land mit fragilen demokratischen Strukturen ist es wichtig, autonom zu bleiben.

Du hast erwähnt, dass Sensibilisierungsarbeit wichtig ist. Wie sieht diese konkret aus?

Ejnxh Pepa: Zum Beispiel arbeiten wir viel mit Schulen zusammen. Wir stellen fest, dass bei Schüler*innen oft kaum Bewusstsein für digital ausgeübte Gewalt besteht. Manche üben selbst Gewalt aus, sehen sich aber nicht als Täter, weil sie schlicht nicht wissen, wo die Gewalt anfängt.

Gibt es dazu ein Beispiel?

Ejnxh Pepa: Ja, junge Leute kreieren zum Beispiel oft „Memes“, das sind Bilder, mit denen sie Dinge kommentieren. In Tirana gibt es ein Zentrum der Gemeinde, das ausserschulische Aktivtäten für Kinder anbietet. Und plötzlich kursierten Memes und Bilder der Kinder, die diese Aktivitäten besuchten, mit dem Hinweis, nur arme Menschen würden dieses Gemeindezentrum besuchen. Niemand, auch nicht die jungen Beteiligten, sah dies als eine Form der Gewalt an.

Gewalt im digitalen Raum ist ein Thema, das fast alle Menschen weltweit in irgendeiner Art und Weise betrifft. Was können andere von der CLWG lernen?

Ejnxh Pepa: Dass es wichtig ist, auch auf politischer und gesetzgeberischer Ebene zu arbeiten, wenn wir diese Form von Gewalt bekämpfen wollen. Unser Vorgehen werden wir dokumentieren und festhalten. Es wird immer deutlicher, wie wichtig es ist, Gewalt, die online oder mittels Technologie ausgeübt wird, als solche zu erkennen und Reaktions- und Präventionsmöglichkeiten zu schaffen. In Albanien gibt es auf Formularen, mit denen Gewalttaten erfasst werden, noch keine Erwähnung von online-Gewalt. Das dürfte auch an vielen anderen Orten der Fall sein und wir schaffen mit unserer Arbeit ein Bewusstsein dafür, damit sich etwas ändert.

Inteview und Video: Miriam Glass