Die Fortschritte bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter gehen generell zu langsam voran. Der DEZA Gender Status Report bezieht sich teilweise auf den Global Gender Gap (GGG)-Bericht 2021, der eine stärkere Auswirkung der COVID-19-Krise für Frauen als Männer belegt. Durch die Konsequenzen der COVID-19-Pandemie hat sich die Zeitspanne bis zur Schliessung des weltweiten Gendergaps von 100 auf 136 Jahre vergrössert, wobei es erhebliche regionale Unterschiede gibt: Während Westeuropa seine Geschlechterkluft innerhalb von 52 Jahren schliessen könnte, würde es in Afrika südlich der Sahara 122 Jahre und in Osteuropa und Zentralasien 135 Jahre dauern.
IAMANEH Schweiz arbeitet mit lokalen Partnern in Bosnien-Herzegowina und Albanien und in Mali, Burkina Faso, Togo sowie im Senegal zusammen, um eine schnellere Überwindung dieser Kluft zwischen den Geschlechtern zu erreichen.
Der GGG-Report 2021 zeigt auch, dass die zunehmend überschneidenden und multiplizierenden Krisen im Zusammenhang mit Klimawandel, Naturkatastrophen und gewaltsamen Konflikten diese geschlechterspezifischen Ungleichheiten verstärken. Insbesondere für marginalisierte Gruppen wie Indigene, Migrant*innen und Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten, sind die Auswirkungen dieser Krisen grösser.
Die DEZA konzentriert sich auf drei Säulen, um Geschlechtergleichstellung zu erreichen: Die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und der politischen sowie wirtschaftlichen Stärkung von Frauen. IAMANEH Schweiz ist in zwei der drei DEZA-Säulen aktiv: mit Projekten gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für eine wirtschaftliche Stärkung setzen wir uns tagtäglich für die Geschlechtergleichstellung ein.
Geschlechtsspezifischer Backlash
Frauen erleben zunehmend geschlechtsspezifische Gewalt auch im öffentlichen Raum, ausserdem stösst die Förderung von Frauenrechten auf zunehmenden Widerstand durch rückläufige Tendenzen bezüglich der Geschlechtergleichtstellung und die zunehmende Verbreitung geschlechtsstereotyper Narrativen. Patriarchale Strukturen und tief verwurzelte soziale Normen stellen nach wie vor ein grosses Hindernis für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen dar. Auch konservative, populistische und autoritäre Kräfte führen ein Narrativ ein, das traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen wieder betont und das Konzept der Gleichstellung der Geschlechter als eine aufgezwungene westliche Agenda ablehnt. (Weitere Informationen finden Sie auf dem DEZA Shareweb: https://www.shareweb.ch/site/DDLGN/learningjourneys/learningjourney2020/SitePages/Home.aspx )
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (SGBV)
SGBV steht für den englischen Ausdruck sexual and genderbased violence, also sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt. SGBV ist nach wie vor eines der schwerwiegendsten Probleme weltweit, so auch im Jahr 2021. SGBV ist in der Regel eine Folge von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, Machtmissbrauch, prekären Lebens- oder Arbeitsbedingungen und tief verwurzelten Geschlechterstereotypen, sozialen Normen und Bräuchen. Darüber hinaus sind Menschen, die mehrfachen und sich überschneidenden Formen der Diskriminierung ausgesetzt sind, wie Vertriebene oder Menschen mit Behinderungen, unverhältnismässig stark von SGBV betroffen.
IAMANEH Schweiz unterstützt mit mehreren Projekte SGBV Betroffene. In Mali gehört Gewalt zum Alltag vieler Frauen. Einerseits identifizieren sie sich mit der geltenden sozialen Norm, andererseits sehen sie keine Alternative für sich und bleiben so im Kreislauf der Gewalt. Im gemeinsamen Projekt gegen Gewalt an Frauen mit der lokalen Partnerorganisation Ya-G-Tu haben wir ein Beratungszentrum aufgebaut, in dem SGBV-Betroffene medizinisch, juristisch und psychosozial unterstützt werden. Ausserdem werden Aktivitäten zur Sensibilisierung über Frauenrechte und Gewalt durchgeführt, mit Männern aus ihren Dörfern als Botschafter.
Frauen und Mädchen sind in gewaltsamen Konflikten und Krisen die Hauptleidtragenden, da sie häufig systematischer SGBV ausgesetzt sind, und oft keinen Zugang zur Justiz und zu Rechtsmitteln haben. Dabei ist es wichtig, auch Männer und Jungen anzusprechen, da sie eine tragende Rolle im Durchbrechen des Teufelskreises der Gewalt spielen. So richtet sich beispielsweise das DEZA-Projekt in der Demokratischen Republik Kongo an Männer und Jungen, um in therapeutischen Gruppen gemeinsam Bewusstsein über SGBV zu schaffen.
IAMANEH Schweiz fördert ein Projekt in Bosnien-Herzegowina und zwei Projekte in Albanien in denen wir insbesondere mit gewaltausübenden Männern zusammenarbeiten. Die beiden Länder sind von Armut und patriarchalen Strukturen geprägt. In Albanien ist Gewalt and Frauen und Kindern Alltag – rund zwei Drittel aller Frauen sind mindestens einmal im Leben von häuslicher Gewalt betroffen. Die körperlichen und seelischen Schäden werden noch verschärft durch das Tabu, mit dem das Thema nach wie vor behaftet ist. Um an der Ursache der geschlechterbasierten Gewalt anzusetzen, wurden in Albanien und in Bosnien-Herzegowina Anlaufstellen für gewaltausübende Männer aufgebaut, die therapeutische Beratungs- und Gewaltpräventionsangebote wahrnehmen können. Somit können sich die Täter mit ihrer Gewalttätigkeit und den dahintersteckenden Emotionen und Konflikten auseinandersetzen.
IAMANEH Schweiz arbeitet mit einer breiten Palette von Interventionen, die von Sensibilisierung bis zur Verbesserung der Qualität der Unterstützungsdienste für SGBV-Überlebende reichen.
Wirtschaftliches Empowerment von Frauen
Einer der drei Pfeiler der DEZA zur Erreichung der Gleichstellung ist das wirtschaftliche Empowerment der Frauen. Eine gleichberechtigte wirtschaftliche Teilhabe ist von zentraler Bedeutung für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter - und umgekehrt. Dazu gehört eine menschenwürdige Arbeit für alle Frauen und Männer sowie die gleiche Entlöhnung. Die anhaltende wirtschaftliche Kluft zwischen den Geschlechtern ist nach wie vor auf Geschlechterstereotypen und ungleiche Machtverhältnisse zurückzuführen.
Frauen sind immer noch viel weniger im formellen Sektor integriert als Männer, ihre Arbeitsplätze sind weniger sicher, und ihr Einkommen ist niedriger. Weltweit verrichten Frauen immer noch dreimal mehr der – meist unbezahlten- Carearbeit (dazu gehört u.a. Haus-, Erziehungs-, und Pflegearbeit) als Männer, wobei Frauen in ärmeren Ländern noch mehr Zeit für diese Arbeit aufwenden als Frauen in reichen Ländern.
Auch befinden sich Frauen in den am schlechtesten bezahlten und den ausbeuterischen Strukturen am stärksten ausgesetzten Bereichen des informellen Sektors. IAMANEH Schweiz setzt sich auch für die wirtschaftliche Befähigung und Anerkennung dieser Frauen ein. In Mali ist es in den grossen Städten üblich, dass Dienstmädchen die Hausarbeiten wie Kochen, Putzen und Wasserholen verrichten und die Kinderbetreuung übernehmen. Sie sind zwischen 12 und 18 Jahre alt und Schlägen, Beschimpfungen und sexuellen Übergriffen schutzlos ausgesetzt. In unserem Dienstmädchen-Projekt bietet die Partnerorganisation APSEF Notunterkünfte, unterstützt sie mit medizinischer, juristischer und psychosozialer Beratung und klärt sie über ihre Rechte als Arbeitsnehmerinnen auf. Ausserdem werden sie durch Alphabetisierungskurse und Weiterbildungen für alternative Einkommensmöglichkeiten wirtschaftlich gestärkt.
Da der soziale Status in vielen Kulturen von der sozioökonomischen Situation der Frau abhängig ist, werden wirtschaftlich schwache Frauen in ihren Beziehungen, Familien und Gemeinschaften oft in eine unterlegene Position gedrängt. Dies wiederum beeinträchtigt nicht nur ihre Bildungserfolge und wirtschaftlichen Chancen, sondern fördert auch geschlechtsspezifische Gewalt, da die Frauen aufgrund finanzieller Abhängigkeit immer wieder zu ihren Peinigern zurückkehren. Um aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen, muss die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen gestärkt werden. In unserem Frauenhaus-Projekt erhalten die Frauen eine landwirtschaftliche Ausbildung sowie finanzielle Starthilfe, und können sich so eine selbstbestimmte Existenz aufbauen.
Es erfordert Beharrlichkeit und Ausdauer, koordinierte umfassende Anstrengungen und gezielte Massnahmen, um dem derzeitigen Zurückdrängen der erzielten Fortschritte entgegenzuwirken und den Fortschritt zu beschleunigen. Die COVID-19-Pandemie verlangsamte unsere Projekte zusätzlich und dessen Effekte sind noch heute spürbar.
Wir sind zuversichtlich, im neuen Jahr durch vereinte Kräfte wesentliche Schritte auf unserem Weg zu einer geschlechtergerechten Welt voranzukommen und freuen uns, Sie auf diese Reise mitzunehmen!