Adam Dicko, wann haben Sie beschlossen, sich gegen die weibliche Genitalbeschneidung zu engagieren?
Als ich ein Teenager war. Ich habe sieben Geschwister, fünf davon sind Mädchen. Meine älteren Schwestern und ich wurden beschnitten. Meine beiden jüngeren Schwestern habe ich davor bewahrt.
Wie haben sie das geschafft?
Zunächst einmal musste ich mir bewusst werden, dass die Beschneidung kein unabwendbares Schicksal ist, dass diese Verletzung und die damit einhergehenden Schmerzen nicht einfach "normal" sind, wie ich lange Zeit geglaubt hatte. Als ich ungefähr 15 Jahre alt war, kam eine Menschenrechtsorganisation in unsere Schule, um über die Risiken der Beschneidung aufzuklären. Sie zeigten uns Bilder von Komplikationen, die mich unglaublich schockierten. Gleichzeitig durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben Fragen zu dem Thema stellen. Dieser Unterricht hat alles verändert.
Was geschah dann?
Die Beschneidung meiner jüngeren Schwester stand kurz bevor. Aber kurz bevor die Beschneiderin kam, versteckte ich mich mit der Kleinen in der Schule. Ein Wächter liess uns hinein. Wir blieben die ganze Nacht dort und gingen erst nach Hause, nachdem die Beschneiderin gegangen war.
Wie haben Ihre Eltern reagiert?
Ich wurde bestraft. Aber ich habe angefangen, das Thema bei meiner Mutter anzusprechen.
War sie dafür offen?
Am Anfang nicht, das Thema war und ist bis heute tabu. Sie war sehr zurückhaltend, wir sprachen zum Beispiel auch nicht über die Menstruation. Aber ich konnte ihr erzählen, was ich in der Schule gelernt hatte. Zum Beispiel, wie viele Mädchen nach der Beschneidung an Blutverlust oder Infektionen sterben. Und auch, dass die Beschneidung nicht von der Religion vorgeschrieben ist, wie viele Leute glauben.
Haben Sie Ihre Mutter überzeugt?
Ja, ich überzeugte meine Mutter, auch mit meinem Vater darüber zu sprechen. Das Ergebnis war, dass meine beiden jüngeren Schwestern nicht beschnitten wurden.
Ihr Engagement beschränkte sich nicht nur auf Ihre eigene Familie.
Nein, da hat alles erst angefangen. Ich begann, Aktivitäten mit Jugendgruppen zu organisieren, um Informationen über die weibliche Genitalbeschneidung zu verbreiten.
Heute sind Sie eine bekannte Aktivistin und leiten die Organisation AJCAD. Aber 89% der Frauen und Mädchen werden in Mali immer noch beschnitten, und es gibt kein Gesetz gegen diese Praxis. Können Sie etwas dagegen tun?
Das ist absolut richtig. Natürlich wird immer nach Zahlen gefragt, unsere Arbeit soll eine möglichst grosse Wirkung haben. Aber für mich ist jeder Mensch, den wir erreichen, wichtig. Auch wenn es Milliarden von Menschen gibt, ist ein gerettetes Menschenleben von Bedeutung für die Menschheit.
Wie gehen Sie konkret gegen die weibliche Genitalbeschneidung vor?
Informations- und Aufklärungsveranstaltungen sind ein wichtiger Teil des Projekts. Manchmal nehme ich selbst daran teil und erzähle meine Geschichte. Das macht anderen Mut, manche werden selbst zu Aktivistinnen. Wir geben einen Raum, in dem Fragen gestellt werden können, die sonst nicht angesprochen werden können. Zweitens ist es auch wichtig, ein breiteres Publikum zu sensibilisieren. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit jungen Menschen, die sich über soziale Medien und öffentliche Veranstaltungen gegen die weibliche Genitalbeschneidung einsetzen und zeigen, dass es sich dabei um eine Menschenrechtsverletzung handelt.
Mehr über das Projekt in einem zweiten Interview und auf unserer Projektseite Gemeinsam sind wir stark: Jugendliche nutzen soziale Medien gegen die Beschneidung von Mädchen.
Unsere Partnerorganisation AJCAD, die Association des Jeunes pour la Citoyenneté Active et la Démocratie, engagiert sich intensiv für die Förderung von Jugendlichen in Bereichen wie sexuelle Gesundheit und Rechte sowie für die partizipative Demokratisierung des Landes. IAMANEH und AJCAD arbeiten gemeinsam daran, weibliche Genitalbeschneidung (FGC) zu beenden. Wesentlich ist dabei die Zusammenarbeit mit Jugendlichen, die über soziale Medien und öffentliche Veranstaltungen gegen diese Menschenrechtsverletzung mobilisieren. In den Regionen Malis, wo fast 89% der Frauen und Mädchen beschnitten sind, werden junge Menschen geschult, um über die Risiken und Probleme von FGC aufzuklären und Raum für Veränderung zu schaffen. Zudem umfasst das Projekt die Beratung von Betroffenen sowie die Nutzung der Online-Plattform «ClickInfoAdo», die Schüler*innen auf spielerische und kreative Weise Themen der reproduktiven Gesundheit näherbringt.
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