«Wir verankern respektvolle Geburtshilfe in Togo»

Emmanuel Dovi Tomety engagiert sich seit rund 30 Jahren für eine verbesserte Gesundheitsversorgung in Togo. Heute liegt der Fokus auf respektvoller Geburtshilfe – ein Engagement, das mit einem Besuch in der Schweiz seinen Anfang nahm.

Emmanuel Dovi Tomety ist Leiter unserer Partnerorganisation AFAD in Togo. Das Gespräch führte IAMANEH-Mitarbeiterin Beate Kiefer an der Mitgliederversammlung am 2. Mai in Basel - bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine gekürzte Fassung.

IAMANEH: Emmanuel, Du arbeitest seit den 90er Jahren in Togo im Gesundheitswesen. Was hat Dich über die Jahre besonders geprägt?

Emmanuel: Am Anfang meiner Laufbahn arbeitete ich in der Gemeinde Sodo im Süden des Landes. Dort habe ich viel Leid gesehen, das prägt meine Arbeit bis heute.

Was waren die berührendsten Erlebnisse dort?

Emmanuel: Ich habe Menschen mit schweren Erkrankungen gesehen, die viel zu lange nicht ins Gesundheitszentrum kamen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie Menschen es so lange ohne Behandlung aushalten. In Sodo wurde mir klar, warum das so war. Viele Patient*innen kamen zum Beispiel aus dem abgelegenen Dorf Eleme. Nur einmal in der Woche machte sich ein Auto auf den Weg nach Eleme und zurück – samstags, wenn Markt war. Auf der Rückfahrt konnten die Kranken nach Sodo kommen. Einmal pro Woche. Damals wusste ich: Ich muss etwas für dieses abgelegene Dorf tun.

 

Du hast danach in Eleme gearbeitet. Was für Erinnerungen hast Du daran?

Emmanuel: Mir kamen die Tränen, als ich dort ankam. Die Leute arbeiteten hart in der Landwirtschaft, es war eine dynamische Gemeinde. Aber sie war von der Umwelt komplett abgeschnitten. Die Bevölkerung hatte keinerlei Zugang zu Informationen. Das habe ich in meiner Arbeit als Mediziner dort erfahren.

Gibt es ein Beispiel?

Emmanuel: Ein Mann brachte sein Kind zur Konsultation. Das Problem schilderte er so: «Das Kind pinkelt seit fünf Jahren kein Blut». Ich dachte, ich hätte mich verhört. Mit Nachfragen stellte sich heraus, dass es im Dorf normal war, Blut im Urin zu haben. Wer das nicht hatte, galt als krank! Mir wurde rasch klar, dass Verdacht auf die Infektionskrankheit Bilharziose bestand – beim Vater, nicht beim Kind. Die Urin-Analyse bestätigte das. Der Vater hatte Bilharziose und mit ihm fast alle im Dorf. Ich informierte das Gesundheitsministerium und eine Behandlung wurde möglich.

Das waren Momente, in denen Du positiv eingreifen konntest. Es gab aber auch grosse Schwierigkeiten, kannst Du davon berichten?

Emmanuel: Ja, es gab Momente, in denen ich in Gefahr war. Wir brachten den Dörfern der Region ja nicht nur medizinische Behandlungen, sondern halfen auch, die Gemeinden zu entwickeln. Die Menschen organisierten sich und trafen selbst Entscheide, die ihre Gemeinschaften vorwärtsbrachten. Das empfand die damalige Militärdiktatur als Bedrohung. Einmal kam das Militär nachts nach Eleme, um mich abzuholen. Zufällig war ich zu dem Zeitpunkt abwesend. Die Mitarbeitenden des Gesundheitspostens riefen an und warnten mich davor, zurückzukommen. Das war eine sehr schwierige Zeit. Ich musste mich verstecken, ohne zu wissen, für wie lange. Von all diesen Erlebnissen berichte ich ausführlicher in meinem Buch «Impact», an dem ich zur Zeit arbeite.

Heute engagierst Du dich für Frauengesundheit, insbesondere für eine Geburtsbegleitung, die die Würde und die Bedürfnisse der Gebärenden berücksichtigt. Warum dieser Schwerpunkt?

Emmanuel: Auch dieses Engagement geht zurück auf meine Anfangszeiten im Beruf. Als ich zum ersten Mal bei einer Geburt dabei war, schrie die Hebamme die Gebärende grob an, um sie zum Pressen zu bewegen. Ich war damals Praktikant und dachte, das sei normal. Aber ich war schockiert und traurig. Ich dachte an meine Mutter – wir sind zehn Kinder, für jede Geburt hat sie solche Schmerzen erlitten. Ich habe diesen Schmerz nachempfunden und wollte handeln.


Respektvolle Geburtshilfe

Eine Geburtsbegleitung, bei der die Bedürfnisse der Gebärenden im Zentrum stehen – das ist die Vision unserer Partnerorganisation AFAD (Alliance Fraternelle pour le Développement). Ihre Initiative, allen Schwangeren in Togo eine einfühlsame und rechtebasierte Geburt zu ermöglichen, nahm 2023 weiter an Fahrt auf.

Der Ansatz der respektvollen Geburtshilfe beinhaltet, dass Entscheidungen der Gebärenden in Bezug auf ihre Geburtserfahrung berücksichtigt werden, die Gebärende also die Geburtsposition selbst wählen kann und dafür verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung stehen.

Zu den grössten Erfolgen des Jahres gehört, dass Lehrpersonen von drei der sechs Hebammenschulen im Land in dem von AFAD eingeführten Ansatz weitergebildet wurden. Die Gesamtzahl der Gesundheitsfachpersonen, die seit Beginn des Projekts geschult wurden, beläuft sich damit auf 112 in insgesamt 47 Gesundheitszentren, die meisten davon im ländlichen Raum.

Die im Berichtsjahr durchgeführte externe Evaluation zeigt, dass die Dauer der Geburten in den Geburtszentren signifikant kürzer ist, die mit Hilfsmitteln für eine respektvolle Geburt ausgestattetet sind, und dass dort messbar weniger Schmerzmittel benötigt werden als in den Kontrollregionen. Neben medizinischen Vorteilen wie der Beschleunigung des Geburtsverlaufs hat die Methode auch eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Gesundheitspersonal und Gebärender zur Folge und trägt dazu bei, Anspannung und Aggression im Gebärsaal zu reduzieren.


IAMANEH: Wie ging es weiter?

Emmanuel: Das Gesundheitszentrum Eleme wurde ja durch Mitwirken des Vereins «Amis Suisse de l’AFAD» ins Leben gerufen.2007 war ich zu Gast bei der Gründerin Regula Streun Schäfer. Bei dieser Gelegenheit konnte ich das Kantonsspital Basel besichtigen. Die Hebamme dort erzählte ausführlich von ihrer Arbeit und zeigte mir die Materialien und Hilfsmittel für die Geburtsbegleitung. Zum Beispiel die Kordel, an der sich Frauen in den Wehen festhalten können.

IAMANEH: Was folgte aus diesem Besuch?

Emmanuel: Ich war fest entschlossen, die Geburtshilfe in Togo zu verändern und habe Konzepte für eine respektvolle Geburtsbegleitung entworfen. Manches davon war nicht unbedingt neu, aber wir wendeten es nicht in den Gesundheitseinrichtungen an. Frauen in Togo hielten sich zum Beispiel früher während der Wehen den Ästen der Kaffeepflanzen fest, um den Geburtsverlauf zu erleichtern und zu beschleunigen – die Pflanze hatte dieselbe Funktion wie die Kordel im Gebärsaal. Das wollte man aber vermeiden, schliesslich ist es ein Ziel, dass die Frauen nicht irgendwo draussen oder zu Hause gebären, sondern mit Begleitung in einem Gesundheitszentrum. Nun führen wir die Kordel dort ein.

IAMANEH: Wie wurden die Konzepte für eine respektvolle Geburtshilfe aufgenommen?

Emmanuel: Wir haben ein Jahr lang mit dem Gesundheitsministerium verhandelt, danach hatten wir die Erlaubnis, die neuen Praktiken in den Institutionen zu verankern. Das Ministerium hat uns die Erlaubnis gegeben, die Konzepte in der Hebammenausbildung einzuführen. Inzwischen wurden Lehrpersonen von drei der sechs Hebammenschulen im Land im von AFAD eingeführten Ansatz weitergebildet. Die Gesamtzahl der Gesundheitsfachpersonen, die seit Beginn des Projekts geschult wurden, beläuft sich damit auf 112 in insgesamt 47 Gesundheitszentren, die meisten davon im ländlichen Raum.

IAMANEH: Was würdest Du gerne in den kommenden Jahren realisieren?

Emmanuel: Wir möchten weiter unsere Expertise für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte einbringen. Die Herausforderung ist jetzt, den Ansatz der respektvollen Geburtshilfe in ganz Togo zu verankern. Ich danke IAMANEH Schweiz für die Begleitung in diesem Prozess.

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