Bledar Zeneli, die Organisation «Counseling Line for abused Women and Girls» gründete 2013 die «Counseling Line for Men and Boys», für welche Sie arbeiten. Es war die erste Institution Albaniens, die sich im Bereich der Täterarbeit engagierte. Wie waren die Reaktionen zu Beginn?
Bledar Zeneli: Als wir sagten, dass wir mit Tätern arbeiten, fingen viele an zu lachen. Nein, Nein, das brauchen wir nicht, war damals die Haltung. Doch wir waren überzeugt und haben weitergemacht. Im zweiten Jahr fingen manche an, neugierig zu werden und wollten mehr über unsere Arbeit erfahren. Und jetzt, im dritten Jahr, werden wir sogar zu Konferenzen eingeladen. Diese Entwicklung gibt uns Hoffnung.
Häusliche Gewalt ist in Albanien weit verbreitet, aber die Täter werden selten zur Verantwortung gezogen. Das Patriarchat prägt das Land auch heute noch. Wie ist es zu diesen gesellschaftlichen Strukturen gekommen?
Endrit Uligaj: Albanien war über 50 Jahre lang kommunistisch. Das hat die Familienstrukturen und gesellschaftlichen Normen stark geprägt. Auch die darauffolgenden chaotischen Entwicklungen in Wirtschaft und Politik haben die Leute weiterhin frustriert. Diese Frustration und Armut hatte einen grossen Einfluss auf die Gewaltsituation in der Gesellschaft. Die patriarchalen Strukturen wiederum bestehen schon seit Jahrhunderten.
Bledar Zeneli: Die albanische Gesellschaft besteht sozusagen aus männlichen und weiblichen Schubladen, die definieren, wie man sich zu verhalten hat. Die Menschen achten stark darauf, was andere denken und sagen, statt sich selbst zu sein. Diese gesellschaftlichen Strukturen fördern die häusliche Gewalt.
Endrit Uligaj: Aber solche Schubladen bestehen eigentlich in allen Gesellschaften. Ich glaube, dass die Frage wichtiger ist, welche konkreten Normen und Pflichten die Gesellschaft den Geschlechtern zuteilt.
Habt Ihr in den letzten Jahren auch positive Entwicklungen beobachtet?
Bledar Zeneli: Ja, die Mentalität in Albanien hat begonnen sich zu verändern. Eine Entwicklung ist beispielsweise, dass Väter mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen. Früher hätte sich kaum ein Mann mit dem Kinderwagen in der Öffentlichkeit gezeigt.
Endrit Uligaj: Aber auch bei den Frauen hat es Veränderungen gegeben. Immer mehr Frauen melden Fälle häuslicher Gewalt bei der Polizei. Auch auf politischer Ebene sind Frauen viel besser vertreten als früher.
Für Veränderungen spielt die junge Generation eine wichtige Rolle. Wie bezieht Ihr Jugendliche in Eure Arbeit ein?
Bledar Zeneli: Wir haben eine Gruppe männlicher Jugendlicher, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir trainieren sie in unterschiedlichen Genderthemen. Sie überlegen dann selbst, wie die Mentalität in Albanien verändert werden könnte. Ein Jugendlicher hatte beispielsweise die Idee, als Gruppe einmal wöchentlich für ältere Menschen im Pflegeheim zu sorgen. Denn in Albanien kümmern sich traditionell nur Frauen um die Pflege der Älteren.
Was hat die Arbeit mit Männern bei Euch persönlich ausgelöst?
Endrit Uligaj: Ich habe gelernt, dass wir uns als Männer ändern können. Wir wissen aber auch, dass diese Veränderung viel Energie und Zeit braucht damit sie nachhaltig ist. Frauen alleine können diesen Prozess nicht vorwärtstreiben. Letztendlich gibt es mehr Männer, die keine Gewalt anwenden, als Männer, die gewalttätig sind. Diese grosse Ressource an Männer und Jungen, die friedlich leben, müssen wir nutzen, um dem gewalttätigen Teil zu helfen.
Bledar Zeneli: Konflikte zu haben ist normal, aber sie bedeuten nicht, gewalttätig sein zu müssen. Gewalt wiederum ist erlerntes Verhalten. Nachdem ich das Training für Täterarbeit besucht hatte, habe ich angefangen, mehr über meine Gefühle und Emotionen zu sprechen. So wurde ich selbstsicherer und habe mich mehr akzeptiert. Jetzt kann ich meine Erfahrungen anderen weitergeben und ihnen helfen, auch in diese Richtung zu gehen. Dabei verurteile ich die Täter nicht. Ich versuche ihnen zu zeigen: Ich bin gegen deine Gewalt, aber ich bin nicht gegen dich.
Interview: Jasmin Schraner, Praktikantin IAMANEH